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8. Mai 2013   /////   Neue Ufer
Schweigen. Keine Zeit zum Reden. Wir wollen nichts verpassen. Wollen sie geniessen, die letzten Kurven, die letzten Hügel, die letzten Meter in diesem Land namens Laos. Wollen jeden einzelnen Krümel sorgsam aufpicken und uns genüsslich in den Mund stecken. Ins Gehirn stecken, ins Gedächtnis, ganz nach hinten. Dort wo sie nicht mehr herausbröseln können, auch wenn die Erinnerung einmal spröder werden sollte. Wir möchten etwas mitnehmen von diesem Land das Gemächlichkeit über Geschäftigkeit stellt und das wir nicht nur, aber nicht zuletzt aus diesem Grund in unser Herz geschlossen haben.
Aufbruch ist angesagt. Und Abschied nehmen, morgen schon. "Sabaidee" wird zu "Nihao", der Kip zum Yuan und auch vom Beerlao werden wir uns verabschieden müssen. Wir verlassen unser Winterlager, lassen die Tropen hinter uns und mit ihnen Malaria, Antibrumm und hitzebedingten Denkstau. Aufbruchstimmung und Wehmut liefern sich ein stilles Gefecht in unseren Gemütern, vorerst mit leichten Nachteilen für den Aufbruch.
Doch wenn wir morgen die Grenze überquert, das Projekt China in Angriff genommen haben werden, wird für Wehmut kein Platz mehr sein. Die Krümel werden verdaut sein und verstaut in der Erinnerung, der Blick nach vorne gerichtet. Paul und Danielle (www.pauldanielleandtruck.wordpress.com) werden zu uns stossen, sie werden uns mit ihrem Truck auf unserem 6000km langen Zwischenspurt durch das Reich der Mitte begleiten. Auch Miss Sophie wird mit von der Partie sein, unsere staatlich verordnete (aber von uns bezahlte) Reiseleiterin und Aufpasserin. Sie wird die schwierige Aufgabe haben, uns in den 25 Tagen nicht nur das staatliche Autobahnnetz näher zu bringen, sondern auch einen Einblick in ihr Land zu ermöglichen, bevor sie uns termingerecht und regelkonform an die mongolischen Grenzbeamten weiter reichen wird. Welche Hürden sie dabei allerdings zu bewältigen haben wird, erahnt sie wohl genauso wenig wie wir.




6. Mai 2013   /////   хоу ту баи а хорс.
Дие аинен синд шлауер, андере етваc блöдер. Дас хат мит дер Дистанц цу тун.
.....
Дер Голдфиш xaт ayx опиум. дас сиет aбep аус вие соясоссе.
.....
Магги канн ман нихт раухен, абер тринкен.
.....
Ин Куала Лумпур гибтс стеамбоат унд фрауен мит мутшликöпфен веген ден копфтyхерн.
.....
Ин Виентиан ве хад а блооди стеик. Ин дубаи ве хад а хамбургер алсо блооди анд вис баухшмерцен.
.....
дие киндер планшен фyдлиблутт им шмутзфлусс. Данебен халтен аух дие вассербyффел ир фyдли инс вассер.
.....
Гроому пеопле, дас ист еин енглишес ворт, дас ес нихт гибт.
.....
Данке фурс лесен, ду хаст аин шоггиштенгели гевоннен!




4. Mai 2013   /////   Phongsaly
Ein Name, der neugierig macht: Phongsaly – das Oberland von Laos. Der nördlichste Zipfel des Landes, sagt man, gehöre noch nicht zu China, aber auch nicht mehr ganz zu Laos. Und tatsächlich ist der dicke Genosse im Norden nicht nur geographisch näher bei Phongsaly als die Hauptstadt Vientiane, die zwei Tagesreisen weiter im Süden liegt: Ethnische Laoten sind hier in der Unterzahl, dafür werden zur Zeit – die Klassifizierung und Zählweise wechselten im Lauf der Jahrzehnte immer wieder – 28 unterschiedliche Ethnien mit fast ebenso vielen Sprachen gezählt, von denen viele im Laufe der Jahrhunderte aus dem Gebiet des heutigen China nach Laos eingewandert sind. Akha, Khmu, Tai Lü und Tai Dam, Hmong und viele andere leben in ihren eigenen Dörfern, tragen häufig noch ihre traditionellen Gewänder und praktizieren eine Mischung aus Buddhismus und Animismus, der Verehrung von Geistern und Ahnen.
Abseits organisierter Trekkingtouren fahren wir in die Täler hinein, auf der Suche nach diesen Bergvölkern, deren Zukunft höchst ungewiss ist. Holprige Strassen führen uns über lange, nur noch spärlich bewaldete Hügelzüge, schon bald erblicken wir die ersten Frauen in Gewändern, die mit Silberpiastern aus der Kolonialzeit (wohl eher den zeitgenössischen, chinesischen Kopien davon) geschmückt sind. Wir passieren Dörfer wie aus dem ethnologischen Lehrbuch: Frauen bringen in geflochtenen Körben Holz aus den nahen Wäldern, Kinder waschen sich am Dorfbrunnen und holen Wasser (in alten Motorenölflaschen notabene), Mütter mit zwei, drei oder mehr Kindern auf dem Schoss und an der Brust sitzen vor aufgestelzten Bambushütten. Schweine, Hunde, Hühner überall. Anzeichen einer Industrialisierung sind weder in der Landwirtschaft noch im Handwerk zu erkennen und auch nicht im Alltag der Familien. Es ist die zweifelhafte Schönheit der Armut, die die Dörfer auszeichnet, die Anmut des Rückständigen, in der unsere wohlstands- und fortschrittsverwöhnten Augen die Romantik des edlen Wilden zu entdecken glauben, die im Fotoalbum so ausgezeichnet daherkommt.
Doch wir fühlen uns fremd. Wir werden angestarrt, als kämen wir vom Mond. Kinder rennen – so scheint es – um ihr Leben, Frauen verstecken sich hinter Holzstapeln, wir brauchen noch nicht einmal die Kamera zu zücken. Eifrig lächeln wir uns die Kiefer krampfig und grüssen zu allen Seiten. Was wir ernten sind grosse Augen aus denen uns misstrauische Blicke entgegen preschen. Zu verschieden sind wir, zu wenig wissen wir voneinander. Für uns sind diese Menschen – es mag abwertend klingen ohne so gemeint zu sein – eine Sehenswürdigkeit, ein Kuriosum. Wir sind für sie Eindringlinge, etwas Unbekanntes, das in ihrem Alltag – und vielleicht auch in ihrem Verständnis der Welt – keinen Platz hat. Es sind spannende Begegnungen, wenn auch sehr distanzierte, ohne die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die die Trekkingagenturen ihren Kunden versprechen. Aber gerade deswegen sind es wohl einige der authentischsten Momente, die wir in Südostasien erleben.




5. Mai 2013   /////   Im Norden Laos'
Bilder, viele Bilder, bewegte Bilder. Dafür diesmal keine Worte.




29. April 2013   /////   Eine mögliche Heimreise
Durch Ungarn? Da gäbe es wunderbar würziges Gulasch. Und durch Österreich? O wie vermissen wir die Käsespätzle. Lasagne und Parmaschinken lägen nur einen Katzensprung entfernt, also auf nach Italien. Nun lockt uns Frankreich mit Brot und Käse. Und Wein! Das letzte Glas Rotwein ist schon allzu lange her – die Erinnerung glättet auch Wichtiges. Nach Belgien? O wie vergeht uns der Kuchen aus feinster Bitterschokolade schon jetzt auf der Zunge. Und dann sehnen wir uns nach Trivialem, aber nicht minder Leckerem. Fischstäbli mit Zitronensaft und Mayonnaise. Oder ein saftiger Hamburger mit Sauce. Und schon sind England und seine Pubkultur mit im Boot.
So fahren wir noch durchs Greyerzerland, schlemmen Käse und verzehren alles, wo Doppelrahm draufsteht. Fahren ins Bündnerland, essen Capuns und Pizokel. Und dann endlich sind wir in Bern. Da gibt es eine Käseschnitte und ein Plättli Landjäger mit Senf und Brot im Pyri. Die Konfiserien warten nur auf uns, mit ihren grossen Schokoladenmocken in weisser Säckliverpackung, ihren Zwetschgenpralinen und Truffes glacées.
So sitzen wir denn da, einmal mehr die Auswahl zwischen Nudelsuppe und Nudelsuppe und machen uns Gedanken über eine mögliche Heimreise.




28. April 2013   /////   Nacht am Fluss
Der Fluss ist nicht zu hören. Nur Motorenlärm und thailändische Popmusik. Das Knirschen von Reifen im Geröll. Lichtkegel im schwarzen Wald. Nebelschwaden. Wir erwachen, die Uhr zeigt halb vier. Mitten in der Nacht.
Laos’ Flüsse sind Verkehrs- und Transportwege, Orte der Arbeit und des sozialen Lebens. Wo ein Zugang zum Fluss besteht, ist stets etwas los. So auch auf der Kiesbank, auf der wir am Tag zuvor unser Nachtlager aufgeschlagen haben. Tagsüber werden Waren verladen, die in die vielen Dörfer gebracht werden, die nur per Boot erreichbar sind. Passagiere erwischen oder verpassen ihre Schiffe in die Städte im Süden. Fischer und Goldschürfer gehen ihrer Arbeit nach. Und auch die Kiesbank selbst ist begehrter Rohstoff und wird abtransportiert, nachdem von einem knappen Dutzend Männern und Frauen der Kies vom Geröll und der Sand vom Kies getrennt worden ist. Nachts, würde man meinen, schlafen die gemütlichen Laoten. Doch weit gefehlt. Auf der Kiesbank ist rund um die Uhr Betrieb. Erst kurz vor der Morgendämmerung verstummt der Motorenlärm, die Laster und Motorräder sind verschwunden und mit ihnen die Hektik der vergangenen Stunden. Ruhe macht sich breit, wir dösen wieder ein, zu den vertrauten Geräuschen von Grillen und Fröschen, das Rauschen des Flusses im Hintergrund.
Doch plötzlich sind wir wieder hellwach. Hören Stimmen ganz in der Nähe. Sehen Lichter im Gebüsch. Ruderschläge. Holzboote, die im seichten Wasser über den steinigen Grund schrammen. Die Frühschicht hat ihre Arbeit begonnen! Im Schein von Taschenlampen werden Netze ausgeworfen und wieder eingeholt. Boote tauchen auf, langsam, tasten sich dem Ufer entlang, gegen den Strom, verschwinden wieder. Eins nach dem andern, immer wieder. Tauchen auf, verschwinden, tauchen auf, verschwinden... Das Treiben, das uns geweckt hat, schläfert uns auch wieder ein, die Lichter, das Gemurmel, das Plätschern. Bald geht die Sonne auf, wir sollten schlafen.




27. April 2013   /////   Pii Mai
Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, sagt Pascal Mercier. Wie recht er hat, wird uns am laotischen Neujahrsfest bewusst. Wir feiern in Luang Prabang, der alten Königsstadt, von der UNESCO zum Weltkulturerbe geadelt. Das Fest, Pii Mai genannt, dauert hier eine ganze Woche und ist das bunteste in ganz Laos. Entsprechend viele Touristen finden sich dazu in der Stadt ein. Was sie allerdings zurücklassen, ist wohl nicht das, was Mercier gemeint hat.
Wichtigstes Ritual im Übergang vom alten ins neue Jahr ist die spirituelle Reinigung. Dazu werden nicht nur die Häuser herausgeputzt und die Buddhastatuen heruntergewaschen, es gehört auch dazu, dass man sich auf der Strasse gegenseitig mit Wasser bespritzt. Ja, es kommt durchaus vor, dass einem auch als Ausländer wildfremde Menschen das Wasser eimerweise den Rücken hinunter giessen und einem dazu ein frohes neues Jahr wünschen. Dass dieses Ritual im jugendlichen Übermut in einer regelrechten Wasserschlacht endet ist ebenso Bestandteil des Neujahrsfestes wie die traditionellen Prozessionen.
Wenn aber westliche Touristen, in der einen Hand die Bierflasche schwenkend, in der andern die Wasser-Pumpgun, in peinlicher Rambomanier durch die Gassen ziehen und jedem und jeder – vorbei prozessierenden Mönchen, Senioren und geschmückten Damen inklusive – die Birne vollballern (was Laoten niemals tun würden) und in ihrem kindlichen Übermut das traditionelle Ritual mit einem pubertären Ballergame verwechseln, so ist das beschämend und symptomatisch für die Oberflächlichkeit dieser Menschen, die zuhause dann stolz erzählen, wie sie zusammen mit den Einheimischen das traditionelle Fest verbracht haben.




24. April 2013   /////   Une promesse
ein versprechen, gerne gegeben
eine stadt, nicht von früher, nicht von heute
ein ort, zauberhaft und echt
eine zeit, unvergessen

vientiane, je reviendrai mon amour




19. April 2013   /////   Essen – Schlafen – Reifen
Bienvenue en France! Vientiane ist Frankreich, gefühltes Frankreich. Baguette und Brie, Zwiebelsuppe und blutrotes Rindsfilet am Ufer des Mekong. Dazu Touristen, die sich aufführen als wäre Laos noch immer in den Händen der Grande Nation und sie Napoleon Bonaparte höchstpersönlich.
Das Leben in der laotischen Haupstadt geht gemächlich von statten. Kein Vergleich mit den Metropolen Bangkok oder Kuala Lumpur. Und selbst das bescheidene Phnom Penh fühlt sich im Vergleich zu Vientiane an wie der reinste Ameisenhaufen. Wir warten auf die Visa für die nächsten Länder. Stecken fest und geniessen es. Liegen in der Villa Lao in der Hängematte und fühlen uns, als seien wir zum ersten Mal in den vergangenen drei Monaten an einem Ort so richtig angekommen. Wir fragen uns nicht, was wir noch tun könnten, sollten, müssten. Auch nicht, wohin wir als Nächstes fahren werden und schon gar nicht, wie lange wir eigentlich schon hier sind. Essen, Schlafen und – das Pflichtprogramm – neue Reifen für den Defender.
Doch nach zehn faulen Tagen, in denen wir das Hauptstädtchen mit der bewegten Geschichte bereits ins Herz geschlossen haben, geht es dennoch weiter. Die Visa kleben in unseren neuen, noch steifen Pässen, der Landrover ist neu besohlt und wir haben uns durch die wichtigsten Speisekarten gegessen. Nun hält uns nichts mehr, eigentlich...




11. April 2013   /////   Point de repère
Er teilt das Land und doch eint er es.
Gibt ihm eine Mitte, eine Richtung, Weite, Ruhe.
Liegt zu unseren Füssen, ist uns ein Gegenüber.
Regungslos. Und doch bewegt.
Stumm. Und doch erzählt er Geschichten,
von früher, von heute.
Erzählt uns andere Geschichten, an andern Tagen, andern Orten,
mit ruhiger Stimme, die nie verstummt.
Es sind Geschichten vom Leben, vom Glück und der Not.
Geschichten vom Volk über das er regiert,
leise und besonnen, aber nicht minder machtvoll.
Er, der König Südostasiens, der Mekong.




9. April 2013   /////   Am Ende der Welt
Suchte man das Ende der Welt, hier wäre ein guter Ort sich umzuschauen. Neun Autofahrstunden von Phnom Penh entfernt, in einem Dorf namens Banlung, beginnt die Staubpiste. Einer ockerroten Stunde später folgen zwei weitere Stunden flussaufwärts in einer kleinen Barke, bis wir unser gesuchtes Ziel erreicht haben. Hier lebt das Volk einer ethnischen Minderheit Kambodschas.
Wir sind unter fachkundiger Begleitung eines französischen Ehepaars, er Kunstprofessor und beide Interessierte der “Art Populaire“. Das gesuchte Objekt der Begierde ist der Dorffriedhof, der rituelle Grabschmuck und ihre Totemfiguren. Wir sind nicht die einzigen Interessierten. Hier, wo wir glaubten am Ende der Welt angekommen zu sein, begegnen uns eine handvoll andere Leute. Der Tourismus steckt schon in seinen Anfängen.
So ist, obschon Strassen, Strom und fliessend Wasser das Dorf noch nicht erreicht haben, das Ende der Welt schon weitergezogen, hat sich vermutlich noch weiter flussaufwärts, dschungeleinwärts versteckt, und sich zu einem anderen Minoritätenvolk zurückgezogen, wo der Friedhof für Fremde tabu ist. Der Erzählung zufolge wurden Dorfbewohner krank, nachdem Aussenstehende die Grabstätte betreten hatten.
So reist das Ende der Welt weiter, immer auf der Suche nach einem neuen Platz. Und vielleicht ist es das Beste für seine Existenz, wenn wir es nie zu Gesicht bekommen.




6. April 2013   /////   Abkürzung
Ockerrot, was grün sein sollte.
Trüb die Luft und voll vom Staub,
der sich in alle Ritzen zwängt und unsere Bronchien.
Wolkentürme erheben sich in den Rückspiegeln
und zeichnen unseren Weg durchs Dickicht nach,
der über rauhe Pisten und durch gelbe Flüsse führt,
vorbei an Büffeln, deren Bäuche im kühlen Wasser hängen.
Durch Dörfer ohne Strom und ohne Wasser,
ohne Neugier, ohne Fröhlichkeit.
Starre Blicke, fassungslos und voll Bestürzung,
Mütter, Kinder, mit offenen Mündern,
unser Gruss bleibt unerwidert.
Wir lassen sie, haben hier nichts zu suchen,
es zieht uns vorwärts, weiter gehts.
Wir schwanken über abgesackten Wegen,
verschwinden tief in ausgewaschenen Löchern.
Der Wald stürzt sich über uns,
schlägt durchs offene Fenster, hinein in unser Reich,
frisst den Himmel und die Sonne,
und unseren Glauben an das Weiterkommen.
Ja, wir stecken fest, es geht nicht weiter,
zurück vielleicht, wir werden sehen.
Dieselben Büffel, dieselben Mütter, Kinder, Münder,
über dieselben knarrigen Brücken
und durch dieselben trüben Flüsse,
entlang unserer Spuren, die die einzigen geblieben sind.
Bis wir, kurz bevor uns die Nacht zum Bleiben zwingt,
zurück sind auf der Strasse, im Dorf, von wo wir aufgebrochen.
Ein Zimmer, eine Suppe, ein Bier. Und die Erkenntnis,
dass die Abkürzung keine war.




30. März   /////   Morgenröte
Rinderhälften und Schweinebäuche, Kuhbeine und ausgekugelte Gelenke. Blutrot und schlachtfrisch, ein grausiges Gemetzel. Es ist früh am Morgen, Rauch liegt in der Luft. Schlaftrunken stolpern wir über den Markt von Kampung Cham, auf der Suche nach etwas Gemüse, ein paar Früchten für den bevorstehenden Tag. Doch dieser hat anderes mit uns vor.
Dicke Wurstfinger wühlen sich durch glasige Gedärmehäufen. Plastikbecken sind gefüllt mit, nein es sind nicht schmutzige Lappen, es ist Geripptes und Genopptes aus den vielen Mägen von Schaf und Kuh. Eimer, voll mit Hühnerfüssen. Fischhälften mit tiefroten Kiemen, sie zucken vergeblich um ihr Leben, während ihre nicht mehr so frischen Kollegen vor dem eintretenden Verwesungsprozess bewahrt werden: geräuchert, grilliert, frittiert oder einfach luftgetrocknet erhalten sie eine zweite Chance auf Veräusserung. Wir schlängeln uns zwischen Eingeweidegirlanden hindurch, bleiben an stoppeligen Fischschwänzen hängen und kollidieren um ein Haar mit einer borstigen Haxe. Auf Holzkreuze sind mit gespreizten Beinen haarige Nager aufgespannt. Wie Flughörnchen, es sind wohl aber Ratten.
Junge Burschen tragen in Bambuskörben immer neues Schlachtgut herbei, während die besten Stücke den Markt schon wieder in Richtung Mann, Kind und Hund verlassen haben. Was die Tierwelt hergibt, hat man erst einmal das Innere nach aussen gestülpt, wird hier verkauft. Und mittendrin in dieser Schlachterei wird munter gefrühstückt. Die Grenzen zwischen Handwerk, Handel und Gastronomie sind fliessend, wenn nicht inexistent. In unseren Mägen jedoch macht sich ein flaues Gefühl breit, wir ergreifen die Flucht. Im Takt des Fleischermessers, das von überall her durch Muskeln und Sehnen zischt und dumpf ins aufgeweichte Holz prallt, hechten wir durch dieses Leichenschauhaus, begleitet von gellendem Geschrei und Hexengelächter. Ein Schweinekopf stellt sich uns in den Weg, er grinst uns an als sei dies der schönste Morgen seines Lebens. Wir schlagen einen Haken - auf Wiedersehen, liebes Schwein - der uns aber direkt in die Fänge einer wuchtigen Alten spült, die mit grosser Kelle und viel Hingabe in einer fischig-silbrig-schleimigen Masse rührt. Herausfordernd lacht sie uns entgegen und schwenkt die volle Kelle. Oh, nein, nie im Leben! Zu früh der Morgen, zu leer der Magen! Wir ringem unserem Ekel ein gequältes Lächeln ab und retten uns in die Gemüseabteilung.




27. März   /////   Wiederfinden
Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch den Wald, als könnte er nur dort Leben, tanzt der Staub in ihnen. Wir schreiben das Jahr 1860, die Gruppe von Forschern ist früh aufgebrochen um sich im Schutz des noch kühlen Morgens auf die Suche zu begeben. Ausgerüstet mit ausgewaschenen Karten und handschriftlichen Notizen derer, die schon früher da gewesen waren, kämpfen sich die französischen Forscher durch den Dschungel. Das Dickicht verschlingt alte Pfade sofort wieder, beseitigt die menschlichen Spuren, jeder kann wieder der erste sein.
Die mühselige Anreise sitzt noch in den Knochen. Unerbittlich war die Sonne, bei sengender Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit ist die Gruppe durchs ländliche, einfache Kambodscha gereist. Der feine rote Staub der Pfade setzt sich überall fest, juckt auf der Haut, scheuert einem das Gesicht wund. Die Häuser entlang der Pfade, meistens einfache Bretterhütten zum Schutz gegen Witterungseinflüsse und die Geister der Nacht, sind ockerrot gepudert, Pflanzen beugen sich unter der Last des roten Nichts.
Die Forscher stehen am Ende einer langen Odyssee. Letzte Zweige werden geknickt, ein paar Schritte noch, ein erster Stein liegt vor ihnen, überwachsen mit Flechten, getarnt in den Farben des Dschungels. Ein paar Meter weiter, bedeckt von Laub und Erde wieder Steine, dieses Mal rechteckige, mit Inschriften versehene. Die ersten paar Funde lassen erahnen was noch folgen wird. Die Tempel von Angkor Wat. Erneut gefunden, nicht entdeckt, da nie wirklich verschollen. Und doch für einen jeden eine Neuentdeckung.




20. März   /////   Ken
Darf ich vorstellen: Ken. Beizenköter, Kläffer, Flohsack. Und bestechlich! Zwei Scheiben Toast am Abend genügen und er wird zum Wachhund für die Nacht. Diese verbringt er unter unserem Auto, auf einem Ohr schlafend, auf dem andern wach und achtsam. Als hätten wir ihm zeit seines Hundelebens nur Gutes getan, kläfft er alles zum Teufel, was sich uns in verdächtiger Absicht nähert.




17. März   /////   Am Fluss
verweilen, schauen, lauschen
die zeit verstreicht, unbemerkt
lesen und überlegen
kaffeetrinken und lachen
essen und dem regen zuhören

am fluss
am rande des dschungels
auf den schwimmenden restaurants

selten sind sie, diese orte
kuala tahan, malaysia




16. März   /////   In den Strassen Phnom Penhs
Ein kleiner, halbgeschorener Junge sitzt vergnügt auf dem hohen Stuhl des Friseurs, neben ihm ein junger Herr mit schaumigem Gesicht. Benzinverkäufer mit kleinen Wagen; das Benzin in Cola- und Whisky-Flaschen ist so dünn, dass es den Tuktukfahrern gleich wieder aus dem Motor tropft. Ein Lüftungsaggregat, halb zerlegt, oder doch ein Generator? Vielleicht war es das eine und wird zum andern. Ein Kranwagen, bedrohlich zur Seite sich neigend, eine Menschentraube verfolgt das Geschehen, irgenetwas hängt schief in der Luft. Auto- und Mopedwaschanlagen, junge Kerle in Gummistiefeln und mit Polierwatte, Wasser in der Luft. Werkstätten aller Art; halbe und ganze Motoren, Kurbelwellen, Getriebe liegen herum, verschmierte Männer, fast nicht auszumachen hinter den verschmierten Motoren, schmirgeln Kotflügel blank. Ein Geschäft, das Metallprofile verkauft: Rohre, Stäbe, Winkel und anderes in allen Grössen und Materialien, fein geordnet im Innern, ein Riesendurcheinander auf dem Trottoir. Etwas weiter die Strasse hinunter werden die Metallprofile zu Barhockern verschweisst. Dann die Schreinereien, Druckereien, Wäschereien, Schlüsselmacher und Schneiderinnen, die auf alten, fussbetriebenen Nähmaschinen herumtreten. Und Schuhmacher, deren Finger schmerzen müssen von den dicken Nadeln die sie durch zähe Sohlen stechen.
Auch das Kulinarische kommt nicht zu kurz: ganze Familien, versammelt um rot und blau leuchtende Kühlboxen, mit viel Eis und Getränken gefüllt. In bunte Gewänder gehüllt sitzen Baguetteverkäuferinnen auf dem Boden, mit allem Notwendigen ausgestattet um das Baguette zu einem Sandwich à la carte zu adeln. Muschelverkäufer, die Muscheln winzig, auf einem Wagen ausgebreitet, werden sackweise verkauft. Damen mit Schalen voll essbaren, uns unbekannten Kuriositäten. Stuhl- und Tischlandschaften in buntem Plastik breiten sich in alle Richtungen aus, Planen und Schirme bieten tagsüber Schatten, auf den Leuchtreklamen sonnen sich nachts die Geckos. Auslagen mit Fleisch und kopfüber hängenden Hühnern, Gemüse und Meeresgetier, manchmal auf Eis und manchmal auch nicht. Das Ungeziefer meist nur auf dem Boden. Stichflammen und dicke Rauchschwaden steigen in den nächtlichen Himmel. Junge Frauen werfen flink Fleisch, Gemüse und Nudeln ins kochende Öl, schaben eilig Reis aus grossen Töpfen. Grosse Kessel mit Suppe, Menus im Minutentakt. Ein eiliges Kommen und Gehen. Dazwischen Katzen und Hunde, spielende Kinder, schlafende Männer, dicke Marktfrauen, schlurfende Mönche, stillende Mütter und lausende Geschwister.
Und die Fussgänger? Auf der Strasse natürlich, dort wo jeder hingehört der von hier nach dort will. Tuktuk von links, Moped von vorne, Hupen, Bremsen, Drängeln, Zwängen. Ruhig bleiben, ganz ruhig!




14. März   /////   Zülligs und Co.
Steve, der verrückte Brite, der mit seinem 6WD-Defender dem Ziel entgegenfährt, alle Länder der Welt bereist zu haben, war der erste Autofernreisende, dessen Weg sich mit unserem kreuzte. Dreimal haben wir ihn getroffen, immer zufällig. In Kasachstan, in Usbekistan und zuletzt im Iran. Mit ihm konnten wir unsern zentralasiatischen Visumsfrust teilen und viel, häufig und (er) laut lachen. Besonders beeindruckt haben uns natürlich der Schraubstock auf seiner Vorderstossstange und die Tatsache, dass er es geschafft hat aus Turkmenistan deportiert zu werden. Die Aufregung über das Spiel seines Chelsea FC, das er im Pub in Ashgabat geschaut hat, liess ihn vergessen, dass ein Viertagesvisum für vier Tage gültig ist und nicht für fünf.

In Südostasien häuften sich dann die Begegnungen, wir sind nicht die einzigen, die sich für den Winter im Süden entschieden haben. Dominik und Perla (www.abdiepost.net) haben in Georgetown, Malaysia, zufälligerweise 50m hinter uns parkiert. Sie kamen von Norden, wollten nach Laos, haben aber an der Grenze gemerkt, dass sie beide nach fast zwei Jahren unterwegs eigentlich lieber nach Hause möchten. Nach einem zweiwöchigen Abstecher ins Kloster sollten sie nun bereit sein für die Rückkehr ins gesittete Leben und ihr blauer Mercedes-Bus ist wohl schon im Container in Richtung Europa.

Fabia und Dino (www.overlander.ch) kamen ebenfalls von Norden, wir von Süden. Nachdem wir schon einige Zeit per Email in Kontakt waren haben wir sie, die mit ihrem 25-jährigen Landcruiser mittlerweile unterwegs nach Indien sind, im Boy Ice Cream and Coffee Shop im südlichen Thailand zu Waffel und Cappucino getroffen. GPS und SMS machen Begegnungen möglich, die vor zehn Jahren nicht zustande gekommen wären!

Susanna und Peter, oder einfach Zülligs (www.ufbrechopf.ch) kennen wir von zu Hause. Sie suchten Mitreisende für die Durchquerung Chinas, ein Gedanke mit dem auch wir kurz spielten. Wir besuchten sie am Tag vor unserer Abreise bei ihnen zu Hause am Bodensee. Fast ein Jahr später gab es nun ein Wiedersehen am Sri Nakharin Stausee nördlich von Bangkok. Drei gemütliche Tage verbrachten wir dort, sie haben uns bei Pizza, Brot und Apfelkuchen die Geheimnisse der Mongolei näher gebracht und wir ihnen das Vergnügen von Hörbüchern. Ausserdem sind sie direkt mit dafür verantwortlich, dass wir mittlerweile echte Campingstühle erworben haben. Etwas Neid verspüren wir aber fast täglich. Dann nämlich, wenn wir in unserer Blechbüchse dahinschmelzen und uns vorstellen, wie sie in der klimatisierten Fahrerkabine ihres selbstgebauten Reisegefährts namens Brech vor sich hin frösteln.




25. Februar   /////   Schwebezustände
Wir sehen die Steinböcke, nur wenige Meter entfernt, wie sie stoisch in der senkrechten Felswand stehen und ihre Köpfe in den Himmel recken. Wir sehen die Bergsteiger - weit unter uns, angeseilt, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Wir beobachten sie, wie sie sich uns vom Talgrund her Schritt für Schritt nähern, auf ihrem Weg in die Gipfel. Die Gipfel, die uns umkreisen, die wir umkreisen, darunter, darüber, dazwischen.
Wir gleiten zwischen ihnen hindurch, um sie herum, in luftigen Höhen, die uns noch vor 30 Jahren vollkommen unzugänglich gewesen wären. Heute jedoch schiessen wir, begleitet von ohrenbetäubendem Motorenlärm in einem Holzboot durch das spektakuläre Karstgebirge. Die Bergsteiger, die Steinböcke sehen wir nur vor unserem inneren Auge. Von der Welt, die weit unter uns in den tiefen Wassern des Cheow Lan Stausees verborgen liegt zeugen nur kahle, abgestorbene Baumstämme, die schwarz aus dem Wasser ragen. Für den Rest - die Bergsteiger, die Steinböcke, die Täler, die Wasserfälle und vieles anderes - ist unsere Phantasie zuständig, die versucht, hinter die Fassaden dieser fantastischen Landschaft zu blicken, die so selbstverständlich erscheint und doch erst wenige Jahrzehnte alt ist.
Wenige Tage später erinnern wir uns zurück an diesen Schwebezustand. Daran, wie wir uns hoch über dem Boden durch den Raum, durch die Landschaft bewegt haben. Wir beobachten eine Affenfamilie, die sich weit über uns durch die Wipfel des Urwaldes schwingt. Aufgetaucht aus dem Nichts ziehen sie ruhig an über uns vorbei und blicken auf uns herunter wie wir in unserer Vorstellung auf die Bergsteiger im Talgrund des Stausees geschaut haben. Doch für sie ist es, anders als für uns, ganz selbstverständlich sich in diesen Höhen zu bewegen, frei von den Zwängen der Schwerkraft, die uns an den Erdboden bindet. Ein wenig neidisch schauen wir ihnen hinterher, als sie von dannen ziehen und wieder im Dickicht verschwinden. Und noch einmal schiessen uns die Gedanken durch den Kopf, die uns bei der Fahrt über den See begleitet haben. Als wir spät in der Nacht über die Autobahnen Bangkoks brettern, losgelöst von der Stadt, hoch über den Dächern und zwischen den Wolkenkratzern hindurch. Unter uns lassen wir die belebten Strassen, die leuchtenden Märkte, den Fluss und die Menschen hinter uns. Nichts verbindet uns mit ihnen, unbehelligt lässt uns die Grossstadt ziehen, als sässen wir auf einem fliegenden Teppich, der sich in sanften Schwüngen durch ihre Hindernisse schlängelt.




9. Februar   /////   Wanne leer
Der Stöpsel ist gezogen. Enttäuscht stemmen die Badelustigen die Hände in die Hüfte, den Bauch in die Luft, das Badetuch von der Schulter baumelnd. Das Meer ist leer, leer bis zur Unbrauchbarkeit. Das Wasser so fern, unsinnig ihm hinterherzulaufen. Man entscheidet sich für den Rückzug in die Strandbar.
Womit die Bühne frei geworden ist für den Auftritt der gepanzerten Untergrundstrandmilizen, bewaffnet mit Stielaugen und scharfen Scheren. Klein und gross und alle Zwischenstufen einer nahtlosen Nahrungskette schaufeln sich den Weg aus den Tiefen der Sandbank. Beinahe unsichtbar die einen, die kleinen, die von der Evolution zum Schutz vor den grösseren Kollegen fast durchsichtig auf die Welt gesetzt wurden. Sie stieben davon, bei jedem Schritt, den wir in den Sand setzen, als würden sie vom Wind getragen. Manch einem jedoch scheint der Übermut in den fragilen Gliedern zu stecken; diese huschen im Zickzackkurs zwischen unseren Füssen hindurch, bevor sie in ihren Löchern verschwinden.
Auch die grösseren sind flink. Mit ihrem aufgestelzten Gang, der sie in schnellem Wechsel in verschiedene Richtungen führt, perforieren sie den von der Flut flach gewaschenen Sand. Wir möchten ein Foto machen, eine Nahaufnahme natürlich, und platzieren uns geduldig vor einem Loch, in welches soeben ein schönes Tier verschwunden ist. Dieses hat jedoch - wenig überraschend - nicht im Geringsten vor sich vor unsere Linse zu bequemen. Von allen Seiten beäugen uns Stielaugen, die aus selbstgebuddelten Kratern gereckt werden, nur unser Wunschexemplar zeigt sich nicht. Wir wiederholen das Spiel vor einer anderen Behausung, doch auch die Krabben wiederholen das ihre, wobei nun in der neugierigen Runde auch dasjenige Tier nicht fehlt, das sich uns vorher partout nicht zeigen wollte.
Wenige Stunden später, nachdem uns doch noch ein paar Porträts der Chitinsoldaten gelungen sind, klettert der Mond hinter dem Wald hervor und zieht das Wasser mit Gewalt ans Ufer. Nun heisst es für die Krabben „Land unter“. Das eingeölte Menschenvolk übernimmt gut gelaunt die Vorherrschaft über die Sandbank und drückt seine Füsse und Hintern in den heissen Sand unter dem die Krabbenarmee bis zum nächsten Einsatz still ausharrt.




31. Januar   /////   Müssen, sollen, dürfen - eine Auslegeordnung
Keine Haustiere (ausser im April), nicht rauchen und keine Durian-Früchte. Mit einem Willkommensgruss voller Herzlichkeit empfängt das Cameronian Inn den geschätzten Gast in seinen Räumlichkeiten, deren grosse Zahl verwinkelter Wände einzig und allein dafür errichtet worden zu sein scheinen um Platz für die Hinweis-, Verbots- und Warnschilder zu schaffen, die für den reibungslosen Betrieb des Etablissement anscheinend notwendig sind.
Pädagogischer Lesestoff buhlt an jeder Ecke um die Gunst des Gastes und zielt auf die Überwindung seiner verpfuschten Kinderstube. Es ist zu hoffen, dass der Gast sich des Ernsts der Lage bewusst ist, ist es doch in seinem eigenen Interesse zu wissen, dass beispielsweise die Gebühr für das Aufschliessen der Zimmertüre – sollte er sich ausgesperrt haben - zwischen 22.00 und 6.30 Uhr mehr kostet als die Übernachtung selbst. Zu wissen, dass auch das Abbrennen von Duft- oder Mückenkerzen im Zimmer eine Gebühr für die dadurch notwendig werdende, zusätzliche Reinigung nach sich zieht ist für einen angenehmen Aufenthalt ohne böse Überraschungen ebenso fundamental wie Kenntnis über den Preis für die separat zu bezahlende WC-Rolle zu haben oder über die Tatsache, dass nur gut erzogenen Kindern der Aufenthalt im Guesthouse gestattet ist.
Auch der korrekten Erledigung der Bestellformalitäten für Kaffee, Omelett und dergleichen widmet der pflichtbewusste Gast seine Aufmerksamkeit. Dies zahlt sich für ihn aus, versetzt es ihn doch in die Lage, am folgenden Morgen sein Frühstück (erhältlich von 8.00 bis 11.00 Uhr) oder Tee und Scones (von 8.00 bis 11.00 und von 13.00 bis 18.00) ohne Regelverletzung zu bestellen oder sich selbst Wasser für Tee oder Kaffee einzugiessen (von 6.45 bis 21.45 Uhr). Wobei auch in letzterem Fall nicht vergessen werden darf, das entsprechende Formular wahrheitsgetreu auszufüllen und in Box A zu deponieren oder aber direkt dem Manager zu übergeben gesetzt der Fall, dass der Gast bereits ausgecheckt hat oder gar kein Gast im Gasthaus ist sondern nur Besucher. Hat er diese Hürde genommen und wartet auf die seinem Bestellschein entsprechende Lieferung aus der Küche, darf sich der Gast hemmungslos an der Ratlosigkeit in den Gesichtern seiner Mitgäste ergötzen, die die Hoffnung auf baldige Erfüllung ihrer kulinarischen Bedürfnisse nach und nach verlieren. Selber schuld, wird er brummeln, von der Notwendigkeit des Paragraphenwaldes mittlerweile ebenso überzeugt wie von der Nichtexistenz des gesunden Menschenverstandes und hysterisch auf den Stockzähnen kichern wie Rumpelstilzchen. Selber schuld, hehe! Selber, selber, selber!




22. Januar   /////   Ein Himmel voller Beulen
Die Cameron Highlands, die grösste aller malaysischen Hillstations, gegründet von den englischen Kolonialherren, denen Hitze und Feuchtigkeit im Flachland schlecht bekamen. Hierher kam und kommt man um der kühlen Luft willen, um den Dschungel zu erwandern, sich dem Golfspiel oder dem Genuss des hier angebauten Tees und der zugehörigen Backwaren zu widmen. Für den, der aus der Tropenhitze der Niederungen kommt ein Himmel auf Erden.
In den nebligen Hügeln liegt aber noch ein anderer Himmel verborgen. Einer, den das Tourismusbüro weniger aktiv vermarktet: der Landroverhimmel. Wer sich je gefragt hat, wo die 75% aller je gebauten Landrover sind, die noch in Betrieb sein sollen, der wird hier fündig. Denn das koloniale Erbe der Engländer beschränkt sich nicht auf lauschige Steinhäuschen, Teeplantagen und Golfplätze. Zumindest für uns ist das eigentliche Highlight die Flotte an alten und alternden Landrovern im Dienste der Tee- und Landwirtschaft, die sich über die Highlands verteilen wie die Spielzeugautos im Kinderzimmer. Bunt bemalt wie Schmetterlinge, verbeult wie von den Windpocken geplagt. Zu Hunderten fahren oder stehen sie herum, röhren, knattern, rauchen – oder eben nicht mehr. Damit sich für unseren Defender die Himmelspforte nicht zu früh öffnet, beschliessen wir, bald weiter zu ziehen.




16. Januar   /////   Glühwürmchen
Das Dickicht des Dschungels hält den Mond noch eine Weile zurück. Die Konturen der Bäume ragen hoch hinauf und breiten sich oben zu einem dichten Baumdach aus.
Fast lautlos gleitet unser Boot durch die Dunkelheit, der Elektromotor ist kaum wahrnehmbar. Der Fluss glänzt schwarz, ausgebreiteter Lavastein, glatt und unberührt umgibt er uns. Und nur ab und zu, wenn ein Ast oder anderes Treibgut angeschwemmt kommt, stellt sich das Gefühl für die Distanz wieder ein.
Ein nächtlicher Ausflug steht uns bevor, um die Millionen von Glühwürmchen zu sehen, für welche der Ort berühmt ist. Zwölf gespannte Nasen sitzen im Boot, alle gut eingesprayt um sich die Moskitos vom Leib zu halten.
Lange lässt das Spektakel nicht auf sich warten, in einiger Entfernung sehen wir am Ufer ein blinkendes Etwas, gleich einem Wetterleuchten. Das Erinnerungsvermögen hilft einem zu sehen, ist doch das Licht schon wieder weg, wenn das Auge einen Punkt zum Fixieren gefunden hat. Unser Steuermann fährt uns näher und nun erkennt man die Konturen eines Baumes im Blitzlichtgewitter – es sind tausende von Glühwürmchen direkt vor unserer Nase. Alle blinken sie, ein mit Leuchtschlangen geschmückter Christbaum. Ab und zu löst sich ein Glühwürmchen aus der Masse und spickt wie der Funke aus dem Feuer über unser Boot hinweg. Wir staunen nicht schlecht, als wir einen Strauch entdecken, wo die kleinen Insekten synchron blinken, ein selten gesehenes Phänomen. Nach den ersten Ahs und Ohs verstummen wir wieder und gleiten lautlos über den Fluss, begleitet von einer uns unbekannten Geräuschkulisse. Dankbar ist man um die Distanz zum Urwald, die einem das Boot ermöglicht.
Der nächtliche Dschungel ist faszinierend und vereinnahmt einem bis an die Grenzen des Wahrnehmbaren. Das Ufer löst sich in der Dunkelheit auf, der Fluss hat aufgehört zu fliessen, die Zeit steht still, man versucht zu denken und kann doch nur fühlen.




15. Januar   /////   Eine Frage des Massstabs
Käfer, die man auch für Spatzen halten könnte.
Spinnen, haarig, faustgross und grösser.
Schmetterlinge, nicht haarig, aber ebenso gross.
Raupen, die zwar klein sind, dafür durch den Urwald hüpfen.
Tausendfüssler, dick wie Wasserschläuche.
Echsen, die einem die Strasse versperren.
Ameisen, die man an die Leine nehmen könnte. Müsste, damit sie keine Kinder fressen.
Nur die Eichhörnchen, die sind uns vertraut. Und die Affen, gäbe es sie bei uns, sähen wohl auch nicht viel anders aus.




14. Januar   /////   Urklänge
Die Geräusche überraschen uns, sie sind hart und grell. Und unnatürlich: Kreissägen in allen Tonlagen. Der Metzger, der seinen Säbel wetzt. Ein Turmix-Gemüse-Hobel und ein Zahnarztbohrer. Selbst Darth Vader und Captain Kirk fehlen nicht und auch nicht der metallische Klang schnell und heftig angeschlagener Kuhglocken. Dazu immer wieder gutturale Drei- und Vierklänge und rhythmische Beats, zu denen jeder Jazzsaxophonist herrlich improvisieren könnte. Es ist der Klang des Urwaldes, seiner Tierwelt. Wer sich hier behaupten will, der muss, so scheint es, eine feste Stimme haben.
Die Geräusche kommen aus allen Richtungen, aus Nah und Fern, sie überlagern sich. Erst durch sie spüren wir die Weite des Urwalds, die man - ganz anders als die Endlosigkeit der zentralasiatischen Wüsten - nicht sehen kann. Die Geräusche kommen und gehen nahtlos. Wenn eine nahe Säge langsam verstummt kommt dahinter ein ferner Bohrer zum Vorschein, dessen markerschütterndes Kreischen langsam in ein Vibrieren übergeht um dann rhythmisch auszuklingen. Ein unbekanntes Rasseln setzt ein oder ein Knattern, ein Zischen oder ein Quietschen, unterbrochen vom heulenden Geschrei der Affen und hinterlegt mit dem nie versiegenden Dröhnen der Grillen.
Nachmittags wird es stiller im Urwald, verstummen jedoch, das tut er nie. Tagsüber nicht und nachts schon gar nicht. Und würde er es tun, so wäre dies mit Bestimmtheit unheimlicher als der martialische Klangteppich, der sich - ohne Pause seit Millionen von Jahren - über das tropische Dickicht legt.




7. Januar   /////   Fusionopolis
Ausgesetzt im Hexenkessel, mittendrin im Getümmel. Überwältigt von der atmosphärischen Dichte, die uns den Atem raubt. Die Stadt, deren Lichter und Farben die Luft zum Tanzen bringen, deren Düfte und Klänge uns umgarnen, die unsere Sinne zum Gefecht fordert. Sie lässt uns ungläubig über die Schulter blicken. Zurück, dorthin, von wo wir soeben in dieses Durcheinander geworfen wurden, in die sterilen Stadtkonstrukte der arabischen Halbinsel, wo wir Tausendundeine Nacht erwartet, aber nicht gefunden haben.
Doch es bleibt keine Zeit zurückzublicken, es zieht uns durch die Gassen und Strassen. Bald haben wir gesehen, was es zu sehen gibt und doch fasziniert uns das Gewimmel immer wieder aufs Neue. In Little India reihen sich Stoffläden aneinander und an solche, die die fertigen, bunt gemusterten Gewänder anbieten. Überfüllt sind sie allesamt, farbiger Stoff scheint aus allen Ritzen zu quellen, aus dem Laden geblasen vom billigen Sound aus schlechten Lautsprechern. Dazwischen "Trading Companies" die mit allem handeln, was sich auf irgendeine Art zu Geld machen lässt. In Chinatown versperren Hunderte von improvisierten Ständen die Strassen, lassen ein Gewirr von Gässchen entstehen, durch die sich Passanten zwängen. Kopiertes und Erfundenes wird hier verhökert: Schuhe, Handtaschen, Uhren, Handyzubehör. Immer und immer wieder derselbe Ramsch. Es wird gerufen, kritisch beäugt und verhandelt, aber - so scheint es - nur wenig verkauft.
Überall wird Ess- und Trinkbares angeboten, eine Freude erster Güte für Auge, Nase und Gaumen. Ob Steamboat, Nudelsuppenhinterhof oder geplättelte Esshalle mit indischen, chinesischen und malaiischen Köstlichkeiten; ob Gedämpftes, Frittiertes oder Gegrilltes über die Gasse oder Gebackenes mit oder ohne Inhalt; ob Kokosnuss mit zwei Strohhalmen, stinkende Jackfrucht oder andere, stachelige oder haarige Geschenke der Natur: gekocht und gegessen wird immer und überall. Einfach, aber phantasievoll, improvisiert und provisorisch und unter haarsträubenden Bedingungen, die jeden europäischen Lebensmittelinspektor vorzeitig ins Grab bringen würden. Wunderbar!