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1. Dezember 2013   /////   Eine Reise
Eineinhalb Jahre waren wir unterwegs, sind fast täglich aufgebrochen zu neuen Ufern, zu alten Stätten. Richtig angekommen sind wir selten, immer hatten wir ein nächstes Ziel vor Augen, einen neuen Ort im Kopf, ein Visa, das uns nur ein paar Tage Aufenthalt in einem Land gönnte. Wir führten ein Nomadenleben, rastlos und doch voller Ruhe, laut war es und still. Die Strassen Asiens waren unser Puls, ihre Orte unser Herz.
In der Heimatlosigkeit anzukommen galt es zu verhindern. Wir hatten Ferien und doch einen Alltag, wir waren auf Achse und hatten doch ein Dach über dem Kopf. Der Defender war unser Zuhause, er gab den Takt vor, wir sorgten für die Musik.
So geht diese Reise zu Ende, bald wird sie eine Geschichte sein, eine Erinnerung, zu der wir Sorge tragen werden.




29. November 2013   /////   Heimat finden
Wir waren auf der Suche nach dem Unbekannten, waren aufgebrochen die Welt zu entdecken. Wir verzehrten das Fremde mit Hochgenuss, liessen uns jeden Bissen auf der Zunge zergehen und freuten uns dabei schon auf den nächsten. Das Erleben des Fremden wurde nach und nach zum Normalzustand, die Tatsache, dass nichts so ist wie wir es gewohnt sind, bestimmte unseren Alltag. Doch dann wendete sich das Blatt. Wir machten die Bekanntschaft mit einem der herrlichsten Länder unserer Reise – der Mongolei. Ein stilles Land, frei von bunter Exotik und Extravaganz. Es war nicht das fremdeste aller Länder und doch ist die Mongolei ganz anders als alles, was wir bis dahin gesehen hatten. Ein Land, wir waren uns einig, das nicht von dieser Welt sein konnte. Hier, unter dem endlosen Himmel, bei Nomaden und Schamanen, kulminierte unsere Suche. Wir hatten das gefunden, von dem wir nicht wussten, dass wir es suchten. Ja, unsere ganze Reise – die Neugier, die Lust am Aufbruch und an der Entdeckung – schien sich auf ein einziges Sandkorn in der Wüste Gobi zu verdichten.

Dann kamen die Kirchenglocken. Wir hatten kaum die Grenze zu Russland überschritten, da rissen sie uns brutal aus unserem mongolischen Rausch und läuteten von einer Minute auf die andere den Heimweg ein. Wir wussten: jetzt geht’s nach Hause – das war sie, unsere Reise, obschon uns noch tausende von Kilometern und mehrere Monate von der Heimat trennten. Von nun an entdeckten wir nicht mehr das Unbekannte sondern das Vertraute. Entdeckten Dinge, Zustände, Tatsachen, die nicht von Aufbruch und Fremde sprachen, sondern von Erinnerung, Rückkehr und von der Heimat.

Wir begegneten Menschen, die Urlaub machten. Nicht die andern Reisenden aus dem Westen, nein. Russen, die für ein paar Tage oder Wochen in die eigenen Berge fuhren. Sie waren nicht auf der Suche nach dem Unbekannten wie wir es waren. Sie wollten nichts als ein paar unbeschwerte Tage in der Natur. Genau so, wie wenn wir übers Wochenenende ins Tessin, ins Berner Oberland oder an den Genfersee fahren. Wir entdeckten das Konzept der Selbstbedienung wieder, das auf dem Weg nach Westen zusammen mit der Kommunikation mit Automaten stetig an Bedeutung gewann. Noch wenige Tage zuvor hievten uns mongolische Damen jedes Produkt einzeln aus dem Regal, nun wühlten wir uns durch riesige Supermärkte, die uns den Überfluss zum Aktionspreis anzudrehen versuchten und uns dazu noch bunte Sammelpunkte mit auf den Weg in Richtung Europa gaben.

Von dort, von Europa, winkte uns die Heimat auch in meteorologischer Hinsicht zu. Kaum hatten wir den Ural überschritten, goss es während Tagen in Strömen. Etwas, das wir nun wirklich nicht vermisst hatten. Das trübe Herbstwetter trieb uns weiter, nach Süden, nach Westen, vorwärts, dorthin wo wir den Sommer noch vermuteten. Wir liessen die Länder der ehemaligen Sowjetunion hinter uns, entdeckten in Rumänien nach fast einem Jahr das lateinische Alphabet wieder, während wir in bulgarischen Restaurants mit den lange nicht gehörten und leicht welken Gassenhauern von ABBA und Konsorten dauerberieselt wurden.

Wir stiessen auf Grenzen, die keine mehr sind, weil davor ebenso Europa ist wie dahinter. Darüber, ob es den Brückenzoll über den Grenzfluss vorher schon gab, oder ob dessen Erhebung eher dazu dient, die ehemaligen Grenzbeamten weiterzubeschäftigen, können wir nur spekulieren. Auch auf den Strassen wurden wir plötzlich wieder zur Kasse gebeten, schon lange bevor das Autofahren wieder zum Egotrip, der Vortrittsraub zur persönlichen Beleidigung wurde. Die Rechnung für die Nichtbeachtung von Regeln, die uns eine schon fast vergessene Flut von Schildern und Hinweisen nicht nur empfahl, sondern regelrecht aufdiktierte, beglichen wir nicht mehr mit einem debilen Lächeln oder einem hysterischen Anfall sondern in harter Währung. Dass man Bussen nicht mehr ausdiskutieren konnte, hatte Gutes und Schlechtes. Die Vorzüge einer ernstzunehmenden Polizei, ob als Freund oder Feind, lernten wir aber wieder zu schätzen. Lange genug fühlten sich die Begegnungen mit den Ordnungshütern wie ein Besuch im Kasperlitheater an. Überhaupt gewannen Ordnung und Organisation mehr und mehr an Bedeutung, je weiter wir nach Westen kamen. Der Raum hingegen, den sich das Improvisierte, das Informelle und das Chaotische ergattern konnten, wurde eng und enger. Poesie wurde zu Paragrafen, Atmosphäre ging in Schall und Rauch auf, es bestand kein Zweifel, wir näherten uns den hochgezüchteten Perfektionsgesellschaften des Westens.

Dafür haben wir den Dienst am Kunden wieder entdeckt, ebenso das Trinkgeld, das man dafür bezahlt. In einer Bäckerei in Sofia liessen wir uns überrascht von einem enthusiastischen, jungen Burschen die unterschiedlichsten Brotsorten in seinem Angebot erklären. Irgendwann, wir wissen nicht mehr genau wo, fingen die verschiedenen Gerichte einer Mahlzeit im Restaurant wieder an in einer Reihenfolge auf den Tisch zu kommen die für den Gast Sinn macht und nicht für den Koch. Es tauchten Bioläden und Reformhäuser auf, Glas- und Batteriesammelstellen, die in verschiedenen Ländern unterschiedlich rege benutzt werden. Der Sonntag wurde wieder zum Ruhetag, wir standen überrascht vor verschlossenen Supermärkten und assen schweigend das Brot vom Vortag.

Von den griechischen Berghängen herab ertönten die ersten Kuhglocken, aus slowenischen Lautsprechern lüpfige Ländlermusik und jenseits des Brenners verstanden wir zum ersten Mal seit mehr als anderthalb Jahren wieder was im Radio gesprochen wurde. Ein letzter Halt im eisigen Innsbruck, gruselig erschien uns, dass uns Hinz und Kunz verstehen konnten und wir uns mit dem sorglosen Kommentieren von allem und jedem um uns herum zurückhalten sollten.

Und dann stehen wir plötzlich vor dem „real thing“, vor den Pforten der Heimat, der richtigen und einzig echten. Seltsam irgendwie. Irgendwie aber auch ganz schön. Wir werden uns das mal ansehen.




25. November 2013   /////   Ordnung
Sie kommen, sie gehen. Kommen wieder und gehen wieder. Rollen daher, von weit, kommen ins Stolpern, kurz vor dem Ziel, überschlagen sich tosend und finden ihr Ende in einem riesigen Schaumbad, das sich über das steinige Ufer ergiesst. Das Schauspiel wiederholt sich wieder und wieder, es ist der Atem des Meeres. Es atmet schwer, das Meer. Es hat Struktur, Textur, Profil und Tiefe. Die See ist rau, am falschen Ort, wer Stille sucht. Still, nein, still ist es nicht, das Novembermeer. Doch Ruhe strahlt es aus, ja, Ruhe. Ruhig spricht es zu uns, das Meer, sagt Ordnung und nicht Willkür und spricht von der Zeit und von der Zeitlosigkeit im selben Atemzug.




11. Oktober 2013   /////   Abschiedstour
Orte, die sich bereits aus unserer Erinnerung verflüchtig haben, tauchen plötzlich wieder auf. Wir entdecken Schönes wieder und sind enttäuscht von anderem, auf das wir uns gefreut haben. Unser Heimweg ist auch eine Art Abschiedstour: eine Ehrenrunde durchs zauberhafte Kirgistan, zwei weitere Male durch Kasachstan, das uns mittlerweile vertrauter ist als einem lieb sein kann. Dann gab es ein Wiedersehen mit der Krim, wo wir im April letzten Jahres unsere ersten Robinson-Tage verbrachten und uns nun, leider vergeblich, noch einmal ein paar letzte, warme Badetage erhofften. Was uns damals noch fremd und neu war, was herb nach Aufbruch und Abenteuer schmeckte, fühlt sich nun vertraut und heimelig an. Wir erinnern uns lachend an das, was uns den Schweiss auf die Stirn getrieben hat ("Schau, der Strand, an dem wir uns eingebuddelt haben"), wir wissen was hinter der nächsten Kurve kommt und sind auch nicht überrascht, wenn zwei Tage lang keine kommt.
Und nun sind wir zurück in Odessa. Dort, wo irgendwie alles begann. Oder besser: dort, wo alles kurz nach einem flotten Start gehörig ins Stocken kam. Dort, wo uns unser Landrover kläglich im Stich liess, uns dadurch aber zu zwei Monaten in Gesellschaft der Grande Dame am Schwarzen Meer verhalf - eine Zeit, die wir auf keinen Fall missen möchten. Wir gönnen uns zwei weitere Wochen in Odessa. Nehmen uns Zeit und richten uns häuslich ein. Gewöhnen uns wieder daran, feste Wände um uns zu haben, seltsame Nachbarn und ein Bett, das keine Luft verliert. Doch was nun? Auf direktem Weg nach Hause? Wäsche waschen, eine Büchse Ravioli auf den Herd, die Post durchschauen und dann ab ins Bett? Nein, nein, nein, so geht das nicht. Noch trennen uns fast zweitausend Kilometer von zuhause. Genug, um dem Unabwendbaren ein letztes Schnippchen zu schlagen. Vielleicht nach Griechenland? Ob dort der Sommer noch ist, der uns auf der Krim verschaukelt hat? Oder gemütlich der Adria entlang durch den Balkan dümpeln? Über Polen nach Deutschland? Oder gar noch ein Abstecher in die Türkei? Wir werden sehen. Das Fernweh überkommt uns bereits wieder, noch bevor wir zu Hause sind.




9. Oktober 2013   /////   Die Sendung mit der Maus II
Liebe Kinder, Kasachstan, vielleicht erinnert ihr euch? Das Land, in dem man gestempelte Papiere sammelt. Ein Land, gross, weit, leer. In dieser Einöde muss man sich auf die Suche nach einem weiteren gestempelten Blatt Papier machen, die sogenannte Registrierung bei der Migrationspolizei. Sinn und Zweck der Registrierung sind unbekannt, umso spannender die vielen Registrationsmöglichkeiten, die sich einem je nach Stadt eröffnen. Der Hase läuft wie er will, schlägt Haken, in jeder Stadt anders.

In Aktau
Bei der Migrationspolizei landen wir in einem Vorzimmer, wo sich schon andere Wartende die Zeit vertreiben. Der einzige anwesende Polizist weiss glücklicherweise um unser Anliegen und erklärt uns, der Chef habe heute Nachmittag frei, es gebe keine Registrierung. Hartnäckig bleiben lautet die Devise, und Warten. Dem Polizisten sagen wir, es ginge ja nur um das Stempeln eines Blattes, er solle das doch machen. Das hört dieser nicht gerne, Stempeln ist eine wichtige Aufgabe und die kann nur der Chef persönlich übernehmen. Spannung liegt in der Luft, Augen verdrehen sich, unter den Wartenden bildet sich eine flüchtige Gemeinschaft, die einem zum Durchhalten ermuntert. Was macht wohl der Chef gerade? Wichtige Ämter ausüben? Joggen im Park? Ballspielen mit den Enkelkindern? Der Phantasie ob der kasachischen Freizeitgestaltung sind keine Grenzen gesetzt… Stunden später stolziert der Chef doch noch herein. Aber oha, der Chef ist eine Chefin, und dazu noch eine, deren Volumen die ganze Halle ausfüllt, deren gerader Rücken einem an die Wand spielt. Es vergeht eine weitere Stunde des Wartens und dann, unerwartet in unsere schlechte Laune hineinplatzend, wedelt der Polizist mit unseren Pässen. Das Papier ist gestempelt, in Zeitlupentempo, einen Nachmittag lang hat es gedauert.

In Almaty
Weil man sich von der letzten Registrierung in Aktau zwar erholt hat, aber noch nicht Lust auf erneute Behördengänge verspürt, geht man in das dem Hotel angegliederte Reisebüro. Dort erwartet einem eine Frau, schneewittchengleich, die sich aus Langeweile die langen schwarzen Haare kämmt. Legt man Bares auf den Tisch, wird einem die Registrierung abgenommen, was für ein Service!

In Pavlodar und später in Astana
Sie liegt uns auf dem Magen, die Registrierung, wir wollen sie so schnell als möglich hinter uns bringen. Einmal auf dem Amt in Pavlodar stellen wir uns kurz in die Schlange, schon bald sind wir an der Reihe. Die Beamtin fragt nach dem Hotel. Wir verneinen diese Frage, kein Hotel, nur Camping. Dann könne sie uns nicht registrieren meint sie und betrachtet die Sache als erledigt. Auf unserer Seite macht sich Entrüstung breit, wir insistieren, erklären in schlechtem Russisch, wie paradox das denn sei, die Registrierung sei obligatorisch bei Aufenthalten von mehr als fünf Tagen im Land und sie verweigere uns diesen Stempel. Das Gespräch wird laut, sie ruft, wir toben, sie kocht und dann, endgültig, niet, nein, sleduschi, der Nächste! schreit sie und schiebt unsere Pässe energisch zur Seite. Da wendet sich eine junge Frau an uns, auf englisch versucht sie etwas zu erklären, stockt und ruft auf deutsch aus, dass ihre Englischkenntnisse nicht genügen würden. Wir ergreifen den Rettungsanker, der sich uns bietet und sprechen die Frau in ihrer zweiten Muttersprache an. Sie erklärt uns, dass man eine Buchungsbestätigung vom Hotel benötigt, womit man sich dann für die Dauer des Aufenthalts in der Stadt registrieren lassen kann. Da wir in Pavlodar nicht bleiben wollen, verschieben wir die Stempelsuche auf später und bedanken uns bei der kasachischen Auswanderin für ihre Hilfe.
In Astana wenden wir uns direkt ans Reisebüro, das Migrationsbüro wollen wir wenn möglich vermeiden. Die Regel steht, keine Registration ohne Hotelbuchung, erklärt man uns auch in Astana. Die Dame im Reisebüro weiss um die Sorgen der Touristen, ruft in unserem Hotel an, bestellt eine Bestätigung, geht uns für die gesamte Gültigkeitsdauer des Visums registrieren und macht uns zu glücklicheren Menschen.

In Shymkent
Wie war das noch mit den erkauften Registrierungen in Almaty und Astana?! Also auf ins Reisebüro. An diesen Tagen reisen wir mit Christiane (www.cicilandi.de) und der Zufall will es, dass sie ihren Registrierungstalon verloren hat. Aus diesem Grund würden wir die Registrierung nur allzu gerne den Profis überlassen, da wir fürchten, der fehlende Talon wirkt sich direkt, via Korruptionskässeli, auf unser Portemonnaie aus. Im Reisebüro werden wir enttäuscht, die zwei anwesenden Damen bieten einen solchen Botengang nicht an. Auch im zweiten Reisebüro werden wir abgewiesen, freundlich und hilfsbereit, aber bestimmt. So bleibt uns nur noch der Gang zur Migrationspolizei, in die vermeintliche Höhle des Löwen. Der Löwe entpuppt sich als Büroangestellter, der kurz die Augenbrauen zusammenzieht, als wir ihn über den fehlenden Talon informieren. Darauf begibt er sich zum Safe, holt einen neuen Talon hervor und gibt uns zu verstehen, dass wir eine halbe Stunde warten sollen. Die Zeit bis dahin vertreiben wir uns mit Porträts der Angestellten, die im Gang lebensgross an der Wand hängen. Etwas nach sechs Uhr, kurz vor Büroschluss halten wir die gestempelten Papiere und unsere Pässe in den Händen. Es lebe Shymkent und sein Baumkarussell!




24. September 2013   /////   Hafenkran II
Wir bummeln der Hafenpromenade entlang, bestaunen die bunt bemalten Schiffe, die rostigen Hafenkräne und die einsame Kuh, die auf dem Grund des Hafenbeckens grast. Ah ja, der Hafenkran... Wir fragen uns, wie es wohl um den Hafenkran in Zürich steht. Es schien ja mit gewissen Schwierigkeiten verbunden gewesen zu sein, die Allgemeinheit von der Notwendigkeit eines Hafenkrans am Zürichsee zu überzeugen. Dass ein Hafenkran aber auch ohne Meeranstoss auskommen kann, davon könnten sich die skeptischen Zwinglianer in der kasachischen Stadt Aral überzeugen. Denn hier hat das Meer, der Aralsee, vor einigen Jahrzehnten zum Rückzug geblasen und das einst boomende Fischerstädtchen inmitten der staubigen Wüste sich selbst überlassen.
Keine Möwen, die über unseren Köpfen kreisen. Keine salzverkrusteten Seebären, die sich in den aufgetürmten Fischernetzen ein Stündchen Schlaf gönnen und keine jungen Burschen, die die Reling streichen oder Netze flicken. Keine Kisten, gefüllt mit zuckenden Fischen, die unter lautem Palaver aus den Schiffen gehievt werden. Keine Schuppen auf dem Boden, keine Eingeweide um die sich Möwen und Katzen streiten könnten und keine schreienden Marktfrauen, die ganz in der Nähe die frischen Fische feilbieten. Auch die Romantik, die manche Fotografen den verrosteten Kähnen und Kränen und der damit verbundenen Tragödie zu entlocken vermögen, fehlt gänzlich. Zu sehen ist nichts als ein ausgetrockneter, verlotterter Hafen. Das Hafenbecken mutierte in der Zwischenzeit zu irgendetwas zwischen Basketballfeld, Weideland und Mülldeponie, die alten Hallen gammeln vor sich hin. Die Hafenkräne muten fremd an, fast könnte man sie für eine Kunstinstallation halten. Zumindest bis in einigen Jahren der Aralsee, mittlerweile von einem Damm gestaut, sich wieder so weit ausgedehnt hat, dass er der Stadt, die nach ihm benannt ist, wieder zu einer hafenkranwürdigen Lage am Wasser verhelfen wird. Bis dann dichten wir uns Fisch und Schiff zum staubigen Stadtbild hinzu und geniessen den Hafenkran, so wie er ist: rostig und mit steifen Gelenken, aber nicht minder stolz, weltmännisch und geduldig auf bessere Zeiten wartend.




13. September 2013   /////   Transit
Sie versorgen die ölgetränkte, kasachische Kaufkraft mit billigem Ramsch aus China oder die kaukasischen Bauern mit Zuchtrindern aus Bayern. Sie bringen deutsche Gebrauchtwagen, kunstvoll aneinandergehängt, aufeinandergestapelt und ineinanderverschachtelt, von Littauen nach Tadjikistan. Oder Nachschub für die UNO-Blauhelme von Europa nach Afghanistan.
Sie alle bewegen sich auf einem Netz von Handelswegen, von dem man meist in der Vergangenheit spricht: die Seidenstrasse. Zwar gehört der Handel mit Seide und Gewürzen nicht mehr zum Kerngeschäft, der Landweg zwischen China und Europa spielt aber auch heute, trotz Flugzeugen und Containerschiffen, eine wichtige Rolle. Unter dem etwas umständlichen Stichwort „Western China – Western Europe International Transit Corridor“ wird die einst mühselige Strassenverbindung, welche Europa über Russland, Kasachstan und Kirgistan mit China verbindet seit einigen Jahren auf Vordermann gebracht.
Auf ihr bewegen auch wir uns durch die Weiten der kasachischen Steppe. Wir teilen uns die Strasse mit gemütlichen Lastwagenchauffeuren und halbwüchsigen Littauern, die ihr Geschäft im Autoexport wittern. Wir rasen hintereinander her, dort wo die neue Autobahn bereits fertig ist und stauben einander ein, dort wo man sich noch über die Überreste der alten Strasse kämpft. Lassen dieselben Polizeikontrollen über uns ergehen und üben uns an den Grenzen gemeinsam in Geduld und Selbstbeherrschung. Und auch nachts, wenn wir abseits der Strasse unser Nachtlager aufgeschlagen haben und schon in den Schlafsäcken liegen leisten sie uns noch Gesellschaft. Eine Lichterkette, rot und weiss, zieht an uns vorbei, hypnotisiert uns in den Schlaf, begleitet vom Geräusch grosser Motoren, das dem Rauschen eines Bergbaches gar nicht so unähnlich ist. Sie lassen uns die Einsamkeit der Steppe vergessen, die uns umgibt. Denn alleine sind wir nie. Auf jeden Fall nicht, so lange wir uns auf der Seidenstrasse des 21. Jahrhunderts bewegen.




31. August 2013   /////   Wohnen danach
Plätze, Gassen, Häuser. Tore, Türme und Fassaden. Eine Stadt in Kirgistan, doch keine gewöhnliche. Es ist eine Nekropole, eine Stadt, gebaut für die Toten.
Gräber wie Häuser oder kleine Schlösser. Mal ganz konkret, gemauert und bunt verziert, mal abstrakt aus Eisenstäben wie ein überdimensionierter Vogelkäfig. Häufig sind es nur wenige Häuser, wie ein Weiler, denn wo die Lebenden nicht in Grossstädten wohnen, tun es auch die Toten nicht. Und manch einer hat sich seinen Platz ganz abseits von allem Rummel gewählt. Hat sein Schloss an schöner, unverbaubarer Lage errichten lassen, ohne freilich zu wissen, ob er je in den Genuss dieses Privilegs kommen wird. Denn wer weiss schon, was auf unser irdisches Dasein folgt? Ob überhaupt irgend etwas folgt. Keiner weiss es, auch derjenige nicht, dem in gutem Glauben daran sein künftiges Heim errichtet wird. Zieht man andererseits die Möglichkeit eines Lebens im Jenseits in Betracht, so hat die Vorstellung, in den eigenen vier Wänden aufzuwachen und in diese Welt einzutauchen, etwas Beruhigendes.




21. August 2013   /////   Bischkek
Wir kennen sie schon, die Stadt. Sie ist uns vertraut und muss nicht erst erkundet und erobert werden. Es müssen nicht drei neue Visa besorgt werden, nun bleibt Zeit für die Musse, kulinarische Höhenflüge und ausgedehnte Spaziergänge durch die Alleen. Wo vergangenen Oktober leere Gartenrestaurants, verlassene Vergnügungsparks und eine frische Brise vor dem herannahenden Winter warnten, zeigt sich der Sommer von seiner schönsten Seite. Die Stimmung ist ausgelassen, Kinder springen durch Wasserbecken, Minijupes und Schleier scheinen sich nicht zu reiben. Wie es sich für eine richtige Hauptstadt gehört, fehlt auch der zentrale Platz, der Ala-Too-Platz, mit Wasserspiel und Musik in den Abendstunden nicht. Kitsch und Farbe, Stimmung und Gefühl. Ein Lächeln huscht einem über die Lippen, man staunt ein bisschen in sich hinein und geniesst den hereinbrechenden Abend. Nun kennen wir sie nicht nur, die Stadt, wir mögen sie auch, sehr sogar.




18. August 2013   /////   Szenenwechsel
Nach vielen Monaten unterwegs, nach einem Winter voller südostasiatischer Exotik und zuletzt zwei Monaten in der rauen Mongolei holt uns die Heimat wieder ein. Zwar fahren wir erst durch westlichen Ausläufer des Altaigebirges, tief in der russischen Provinz, doch es fühlt sich an, als führen wir durchs Appenzellerland. Überall Sonnenblumenfelder! Wann haben wir zuletzt Sonnenblumenfelder gesehen? Oder Apfelbäume? Bäume überhaupt? Bäume, die Schatten spenden und Gras, das nach Gras riecht? Das von grossen Maschinen niedergemetzelt und dann in schönen Ballen auf den Feldern verteilt wird. Wir staunen über unmissverständlich gekennzeichnete Haupt- und Nebenstrassen mit Einspurstrecken und signalisierten Umleitungen, über gedeckte Bushaltestellen, Gartenbeizen und Feuerstellen mit Sitzbänken. Und wir geniessen Morgennebel, Sommergewitter und Maibummelwetter. Genau wie zuhause. Das Tüpfelchen auf dem i: es ist der 1. August!
Doch auf soviel Heimat waren wir nicht gefasst. Bei aller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit zuhause bleibt uns all dies wie ein Kloss im Hals stecken. Noch waren wir mit Wehmut dabei, von der wunderbaren Mongolei Abschied zu nehmen. Noch überlegten wir uns, welche Haken wir schlagen könnten, bevor wir die Schweiz ansteuern. Und schon erschlagen uns Geranientopf, Gummiboot und Gartenpfahl. Doch das lassen wir nicht auf uns sitzen. Wir werden Appenzellerland und Ämmitau ein Schnippchen schlagen. Südwärts lautet unser Kurs. Nicht über den Gotthard ins Tessin, nein. Durchs riesige Kasachstan hinunter nach Kirgistan, das ist unser Plan. Danach geht’s nach Hause, dann werden wir eintauchen in all das, was wir im vergangenen Jahr vermisst haben und auch in das, was uns nicht im Geringsten gefehlt hat. Doch nun sind wir gewarnt, noch einmal lassen wir uns nicht auf dem falschen Fuss erwischen. Wir werden unseren Heimweg behutsam angehen und beginnen mit drei Wochen Sommerferien in der kirgisischen Bergwelt.